Urban Farming: So sinnvoll sind Gemüse und Obst vom Dach (2024)

Urban Farming ist natürlich nicht neu – und variiert deutlich in seiner Komplexität, vom einfachen Anbau unter freiem Himmel bis zu hoch technisierten vertikalen Farmen mit ausgeklügelter Beleuchtung und Bewässerung.

Vor allem die ärmsten Menschen in vielen Ländern nutzen schon längst die Möglichkeit, in der Stadt Nahrung anzupflanzen — weil sie nicht anders können. 15.000 Tonnen Gemüse werden so jährlich mitten in Mexiko-Stadt angebaut. Und am Stadtrand des wasserarmen Lima wachsen auf 5.000 Hektar bewässertem Boden Lebensmittel für die ganze Stadt. In Afrika südlich der Sahara haben 40 Prozent aller Haushalte Gärten, in Nepal sind es 57, in Vietnam 69 Prozent. Die Gärten müssen gar nicht groß sein, oft ziehen Menschen ihre Pflanzen auch in Töpfen auf dem Balkon oder Hausdach.

Ganz klassisch: Anbau unter offenem Himmel

Aber auch in reicheren Ländern wird in der Stadt gegärtnert. In New York etwa wächst ein riesiger Garten auf dem Dach eines Hochhauses im Projekt Brooklyn Grange. Geerntet werden über 20 Tonnen Nahrungsmittel im Jahr: Salat, Zucchini, Auberginen, fast 40 verschiedene Tomatensorten. Und Honig aus eigenen Bienenstöcken. Alles, was dort geerntet wird, kommt direkt in den umliegenden Restaurants auf den Tisch oder wird in nahe gelegenen Geschäften oder auf Wochenmärkten verkauft.

Stärker mit Schadstoffen belastet?

Diskutiert wird, ob das so angebaute Gemüse stärker schadstoffbelastet ist. Eine Berliner Studie hat Kleingärten untersucht, die direkt an stark befahrenen Straßen liegen. Tatsächlich ist dieses Obst und Gemüse stärker mit Schadstoffen belastet, das Gemüse in New York nicht. Vermutlich weil ein Garten in der 30. Etage doch weit genug weg von den Abgasen ist. Hier besteht auf jeden Fall noch Forschungsbedarf.

Technisch ausgefuchster: Anbau in geschlossenen Systemen

Abgasfrei anbauen lässt sich in geschlossenen Systemen, in Kellergewölben und Lagerhallen etwa. Oder in Gewächshäusern, wie auf dem Dach das Jobcenters in Oberhausen. Dort wächst auf über 1000 Quadratmetern Obst und Gemüse mitten in der Stadt. Wissenschaftlich begleitet und durchgeführt wird das Projekt vom Fraunhofer-Institut UMSICHT.

In den Gewächshäusern gibt es vier Klimazonen, die je nach Bedarf der Pflanzen an Temperatur und Feuchtigkeit angepasst werden können. Es gibt Ebbe-Flut-Tische, die die Pflanzen mit Wasser und Nährstoffen versorgen. In UV-stabilen Growbags wachsen unter anderem Erdbeeren, während Salate auf Kulturplatten in Schwimmteichen angebaut werden.

1. Anbaumethode: Hydroponik

Bei dieser Anbaumethode wurzeln die Pflanzen nicht in der Erde, sondern in wassergefüllten Behältern, in denen sie beispielsweise mit Kokosfaser oder Steinwolle fixiert werden. Dadurch können sie optimal mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt werden und wachsen schneller. Die Bewässerung der Pflanzen findet in einem geschlossenen Kreislauf statt.

Der Kerngedanke des Konzepts: Der Dachgarten zapft den Wasser- und Energiekreislauf des Gebäudes an. Die Pflanzen in den Gewächshäusern werden mit der Abwärme des Gebäudes versorgt. Und anfallendes Abwasser des Gebäudes wird durch Siebe gereinigt und aufbereitet, um es noch einmal zum Bewässern der Pflanzen verwenden zu können.

Mit der hydroponischen Anbauweise wird weltweit experimentiert. In einer Studie hat das Fraunhofer-Institut mehr als 50 urbane Farmen weltweit gezählt. 80 Prozent dieser Farmen nutzen Hydroponik, die hauptsächlichen Erzeugnisse sind Blattgrün (69 Prozent), Basilikum (56 Prozent), Tomaten (44 Prozent) und Erdbeeren (25 Prozent). Die meisten Farmen sind nur einen halben Kilometer oder weniger vom Stadtzentrum entfernt und sind damit stark auf die Versorgung der unmittelbaren Nachbarschaft fokussiert.

2. Vertical Farming durch Aeroponik

Eine weitere Anbaumöglichkeit bieten aeroponische Systeme. In aeroponischen Farmen werden die Pflanzen so fixiert, dass ihre Wurzeln in der Luft hängen und nur mit Wasser und Nährstoffen bedampft werden. Dadurch können die Pflanzen in mehrgeschossigen Farmen wachsen ("vertical farming") und brauchen extrem wenig Platz.

Die größte aeroponische Farm in New York produziert in 18 Etagen übereinander momentan mehr als 900.000 Kilogramm Salat pro Jahr. Nach eigenen Angaben erzielt das Unternehmen 390-mal höhere Erträge pro Quadratmeter im Jahr, als auf herkömmlichen Ackerflächen möglich wäre – und kommt dabei ohne Pestizide und mit viel weniger Wasser aus.

Die Vorteile des Anbaus in die Höhe bestätigt auch eine Studie der University of Twente. Sie hat den Salatanbau per Vertical Farming mit dem auf einer traditionellen Farm in den USA verglichen. Das Ergebnis: Der Ertrag beim Vertical Farming ist etwa 80 Prozent höher als bei der Freiland-Landwirtschaft.

Die Vorteile:

  • Es gibt mehrere Ernten pro Jahr.
  • Auf der gleichen Fläche können mehr Pflanzen wachsen.
  • Die vertikale Farm verbraucht 18-mal weniger Wasser – dank dem halbgeschlossenen Wasserkreislauf.
  • Sie verschmutzt Süßwasser weniger und reduziert die Überdüngung der Gewässer um 70 bis 90 Prozent, weil kaum Düngemittel eingesetzt werden.
  • Der lokale Verkauf des Salates verkürzt Transportwege – was CO2 einspart. Vorausgesetzt, die Nachfrage in der Umgebung der Farm ist hoch genug.

3. Aquaponik

Bei der Aquaponik werden Fische in Becken gehalten. Die Idee dahinter: Über ein geschlossenes Kreislaufsystem düngt das "Abwasser", also der Fischkot aus den Becken, die hydroponisch angebauten Pflanzen. Diese wiederum filtern das Abwasser der Fische und wandeln Kohlendioxid in Sauerstoff um.

Innerhalb dieses biologischen Reinigungsprozesses ist das Abwasser der Fischaufzucht gleichzeitig das Frischwasser für die Pflanzenaufzucht – und umgekehrt. Das spart bis zu 90 Prozent Süßwasser gegenüber der herkömmlichen Landwirtschaft und ersetzt Dünger durch die Ausscheidungen der Fische.

Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) arbeitet und forscht an einer Aquaponikanlage, die ein gemeinsames Heizsystem für die Zucht von Fischen und Pflanzen nutzt. Das verringert Wärmeverluste und steigert die Energieeffizienz. Für Wärme- und Energiezufuhr werden erneuerbare Energiequellen wie Sonne und Biogas genutzt, die Tomaten binden das Kohlendioxid, das die Fische abgeben – daher kann die Aquaponik-Anlage nahezu CO2-neutral und emissionsfrei betrieben werden.

Aquaponik-Anlagen müssen jedoch nicht hoch technisiert sein. Auf der Insel Bali züchten die Bauern seit über 1000 Jahren Enten und Fische in denselben überfluteten Feldern, in denen sie auch Reis anbauen. Dieses traditionelle Nahrungssystem ist in sich geschlossen und funktioniert seit sehr langer Zeit, ohne den Boden auszulaugen.

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Author: Greg O'Connell

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